Hochdorf: Das Fürstengrab der späten Hallstattzeit

Hochdorf: Das Fürstengrab der späten Hallstattzeit
Hochdorf: Das Fürstengrab der späten Hallstattzeit
 
In den Jahren 1978 und 1979 untersuchten Archäologen des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg eine unscheinbare, gerade 1,5 m hohe Geländekuppe in einem Acker östlich des Ortes Eberdingen-Hochdorf im Kreis Ludwigsburg. Schon bei den ersten Begehungen stellte sich heraus, dass es sich dabei um einen durch Erosion und Ackerbau weitgehend abgetragenen Grabhügel der späten Hallstattzeit handeln musste. Im Verlauf der zweijährigen Grabungskampagne stießen die Archäologen in einem über 2 m tiefen Schacht auf die zentrale Grabkammer, deren reiche Ausstattung im Unterschied zu allen früheren Entdeckungen vergleichbarer Gräber im süddeutschen Raum völlig unversehrt und darüber hinaus besonders gut erhalten geblieben war.
 
Wie man heute weiß, war hier bald nach 550 v. Chr. unter einem Grabhügel von 6 m Höhe und 60 m Durchmesser ein etwa 40-jähriger Mann beigesetzt worden, der zu Lebzeiten mit einer Körpergröße von 1,83 m zweifellos eine herausragende Erscheinung gewesen war. Man hatte den Leichnam sorgsam auf einer 3 m langen Liege (Kline) aus gepunztem Bronzeblech aufgebahrt und dem Toten zahlreiche persönliche Gegenstände, darunter einen Hut aus Birkenrinde, drei Angelhaken und einen Köcher mit Pfeilen, ins Jenseits mitgegeben. Kleidung und Schuhe des Toten waren für die Bestattung mit eigens dafür angefertigtem Goldschmuck verziert worden. An Grabbeigaben fand man ferner einen vierrädrigen eisenbeschlagenen Wagen mit Zaumzeug sowie ein umfangreiches Speise- und Trinkgeschirr, zu dem auch ein aus dem Mittelmeerraum importierter Bronzekessel mit einem Fassungsvermögen von 500 Litern gehörte. Die Wände und der Boden der Grabkammer waren mit farbigen Stoffbahnen ausgeschlagen.
 
Wer war der Tote, den man in dieser aufwendigen Grabanlage bestattet hatte? Erste Ansätze zu einer Antwort ergeben sich aus einem Vergleich mit ähnlich ausgestatteten Gräbern derselben Zeitstufe, die bereits früher vor allem in Süddeutschland, Ostfrankreich und der Schweiz untersucht worden sind.
 
Schon 1580 waren in Stuttgart »ain ganz guet gulden halßpand und gulden Ring« sowie einige andere Gegenstände zu sehen gewesen, die man nicht weit von Hochdorf »nahend beym Asperg ußer aim Acker gegraben« hatte. Reste ähnlich wertvoller Grabbeigaben fand man 1877 bei der Öffnung des nahe gelegenen Grabhügels Römerhügel und 1964/65 bei der archäologischen Untersuchung des benachbarten Grabhügels Grafenbühl. Vergleichbare Grablegungen wurden ebenfalls schon im 19. Jahrhundert aus der näheren und weiteren Umgebung der Heuneburg bei Sigmaringen und aus der Nähe einer frühkeltischen Siedlung bei Villingen-Schwenningen bekannt. Ihnen entsprechen im französischen Raum mehrere Gräber aus der Nähe von Gray an der oberen Saône sowie aus der Umgebung des Mont Lassois bei Châtillon-sur-Seine, darunter das 1953 entdeckte und wegen seiner unversehrt erhaltenen überreichen Ausstattung berühmte Grab von Vix. Aus dem schweizerischen Mittelland kennt man vergleichbare Funde aus Gräbern in der Nähe des Üetlibergs bei Zürich und des Mont Vully am Murtensee sowie aus der Umgebung von Châtillon-sur-Glâne bei Freiburg im Üechtland.
 
Wie man heute annimmt, gehörten die in diesen und vergleichbaren Grabstätten beigesetzten Personen zu politisch und wirtschaftlich führenden Stammesaristokratien, die weit reichende Handelsbeziehungen pflegten. Für eine herausgehobene gesellschaftliche und politische Rolle spricht schon der äußere Aufwand beim Bau der Grabanlagen, die mit ihren gewaltigen Erdaufschüttungen ein hohes Maß an gemeinschaftlicher Arbeitsleistung und Organisation erforderten. Die wirtschaftliche Macht dieser Gesellschaftsschicht dokumentieren am eindrucksvollsten die wertvollen Grabbeigaben, zu denen in der Regel auch aus dem Mittelmeerraum importierte Güter zählen. Wie die gesellschaftliche Stellung der hier beigesetzten Personen religiös und rechtlich fundiert war, ist allerdings wegen des Fehlens entsprechender Schriftquellen für diese frühe Zeit kaum zu ermitteln. Wenn man daher wie allgemein üblich von Fürsten- oder Adelsgräbern spricht, so muss man sich darüber im Klaren sein, dass diese aus dem Mittelalter oder der Neuzeit stammenden Bezeichnungen hier nur im übertragenen Sinn Anwendung finden können.
 
Besteigt man heute nach einem Besuch des Keltenmuseums von Hochdorf mit seiner Präsentation der rekonstruierten Grabkammer den 1985 in der ursprünglichen Größe wieder aufgeschütteten Grabhügel, so erkennt man in 10 km Entfernung die von einer neuzeitlichen Festungsanlage bekrönte Anhöhe des Hohenaspergs. Dort, so vermutet man, befand sich der Stammsitz des Fürsten von Hochdorf, wie sich denn auch die meisten Prunkgräber der späten Hallstattzeit solch einer topographisch herausragenden Zentralsiedlung zuordnen lassen. Die archäologische Erforschung dieser Adels- oder Fürstensitze bestätigt, ergänzt und bereichert das aus den Gräbern gewonnene Bild der frühkeltischen Welt und lohnt daher eine nähere Betrachtung.
 
Dr. Bernhard Maier
 
 
Birkhan, Helmut: Kelten. Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur. Wien 1997.
 Duval, Paul-Marie: Die Kelten. Aus dem Französischen. München 1978.
 Lessing, Erich und Kruta, Venceslas: Die Kelten. Entwicklung und Geschichte einer europäischen Kultur in Bildern. Freiburg im Breisgau 1979.
 Maier, Bernhard: Lexikon der keltischen Religion und Kultur. Stuttgart 1994.

Universal-Lexikon. 2012.

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